Offener Brief für Schaffung
eines internationalen Bruno-Schulz-Begegnungszentrums
(Veröffentlichung zum 111. Geburtstag des Dichters am 12. Juli 2003)
Bruno Schulz, der hochgeachtete
polnisch-jüdische Maler und Schriftsteller (übersetzt in mehr als 26 Sprachen)
hat unter dem Schrecken der deutschen Besatzung 1941/42 in der galizischen Stadt
Drohobycz, um sein Leben zu retten, in der von dem Wiener SS-Führer Felix
Landau okkupierten Villa Wandfresken für dessen Kinder gemalt.
Die Entdeckung dieser
Wandmalereien im Februar 2001 durch den Filmemacher Benjamin Geissler, sowie
die im Mai 2001 folgende internationale Kontroverse um die Ausfuhr von Teilen
der Gesamtkomposition dieser Wandmalereien nach Israel durch Vertreter der
Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem, erhöhten das Interesse für diesen genialen
Graphiker und Schriftsteller auf der ganzen Welt. Der polnischsprachige Bruno
Schulz gehört mit Sicherheit zu den bedeutendsten Dichtern des 20.
Jahrhunderts, er ist aber zugleich eines der tragischen Opfer des Holocausts.
Das Schaffen von Bruno Schulz
ist Teil des kulturellen Erbes einer Region in Ostmitteleuropa, die eine
wechselhafte, oft hoch dramatische Geschichte hat.
Heute ist Schulz eine
symbolische Gestalt, die in sich die für seine Umgebung so charakteristische
Multikulturalität und Vielsprachigkeit und das Grauen des Judenmords durch den
Nazi-Terror miteinander verbindet. Dieses Schicksal – wie auch sein Werk –
bedürfen heutzutage nicht nur eines Gedenkens,
sondern können eine Chance für die Zukunft sein: Seine Geschichte und das Kulturerbe
der Region können bei sachkundiger und einfühlsamer, zukunftsorientierter
Pflege und Präsentation völkerverbindend und konfliktmindernd wirken.
Daher diese, zunächst durch den
Entdecker der Malereien aufgeworfene Idee, in Drohobycz ein internationales
Forschungszentrum zum Schulz-Werk und zu der komplizierten Geschichte dieser Region ins Leben
zu rufen.
Das
Bruno-Schulz-Begegnungszentrum sollte einerseits der Ausgangspunkt für
interdisziplinäre Studien von Historikern, Literaturwissenschaftlern,
Künstlern, Psychoanalytikern, Politikwissenschaftlern, etc. dieser Region
Europas werden und andererseits zum Treffpunkt interessierter Menschen aller
Nationalitäten werden. Wobei ein besonderer Schwerpunkt der Arbeit darauf
gerichtet sein sollte, den Nachfahren der
durch die Geschichte und ideologischen Wahnsinn Getriebenen die Möglichkeit zu
geben, den Hass und Stereotypen abzubauen und den Blick gemeinsam in die
Zukunft zu richten.
Das geschichtlich wichtige
Städte-Dreieck Drohobycz - Boryslaw – Truskawiec liegt ab Mai 2004 nur 70 km
von der EU-Außengrenze an den nordöstlichen Ausläufern der Karpaten im
Ost-Galizischen Erdölgebiet in der Ukraine.
Drohobycz war vor dem II.
Weltkrieg eines der wichtigsten Zentren der jüdischen Kultur in Osteuropa. In
dieser Kleinstadt der österreich-ungarischen Provinz Galizien wurde Bruno
Schulz 1892 geboren. Er dachte und schrieb auf
polnisch und lehnte alle Angebote Drohobycz zu verlassen ab, weil er spürte, dass er an einem anderen Ort nicht kreativ sein
konnte. 1939 bestand die Bevölkerung von Drohobycz aus 36.000 Einwohnern, wovon
17.000 jüdischen Glaubens waren. Während der deutschen Besatzung wurden die
meisten Juden in dem Vernichtungslager Bel¿ec und im Wald von Bronica ermordet.
1944 hatten nur noch 400 Drohobyczer Juden überlebt.
Aber auch heute noch strahlt
Drohobycz etwas von der morbiden Schönheit der Schulz’schen Erzählungen und
Zeichnungen aus. Die Stadt und ihre Umgebung sind voll von Denkmälern der
Vergangenheit. Aus dieser Gegend stammten der herausragende ukrainische Dichter
Iwan Franko, der bedeutende jüdische Maler Maurycy Gottlieb oder der wunderbare
polnische Lyriker Kazimierz Wierzynski. Dies zeugt von Reichtum und Vielfalt
des Erbes, auf das sich die Forscher beziehen könnten. Zugleich ist Drohobycz
aber auch der Sitz einer sich rasch entwickelnden zukunftsoffenen Universität.
Wir, die Unterzeichner, fordern
dass:
- angesichts des historischen
Hintergrunds dieses Projekt unter Beteiligung der Regierungen
Deutschlands, Österreichs, Polens, der Ukraine und Israels mit Nachdruck vorangetrieben wird.
- ein konstruktiver Dialog mit
der Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem aufgenommen wird.
- die Gesamtkomposition der
Wandmalereien von Bruno Schulz am Ort ihrer Entstehung wieder hergestellt wird,
und somit die Möglichkeit besteht, die von Benjamin Geissler aufgestellte und
mit Beispielen belegte Arbeitshypothese, dass es sich bei diesem Werk auch um
eine Darstellung der Shoah in Drohobycz handelt, wissenschaftlich und
kunsthistorisch ausgewertet werden kann.
Wir schlagen vor, dass aus den
vorgenannten Ländern 3 zwölfmonatige Stipendien an Personen vergeben werden,
die qualifiziert sind, in Zusammenarbeit mit der Universität Drohobyè und im
Dialog mit renommierten, international anerkannten, Gelehrten wissenschaftlich
und ökonomisch die Grundlagen für die Schaffung des
Bruno-Schulz-Begegnungszentrum zu legen. Konkrete
Arbeitsvorhaben, die sich aus dieser ersten Periode entwickeln, sollten zwei
weitere Jahre lang finanziert werden.
Operativ heißt das:
1. Gründung eines Trägerverein
bzw. einer Stiftung mit einem internationalen Kuratorium, dem Persönlichkeiten
der jüdischen und nicht-jüdischen ukrainischen, polnischen und deutschen Kultur
angehören, die an dem multikulturellen Erbe des Drohobyczer Landes interessiert
sind. Behörden sowie Kulturvereine sollten bereits am Anfang in die
Planungsüberlegungen einbezogen werden. Die Zustimmung der ukrainischen
Regierung zu einem Projekt, das von der Stadt- und der Gebietsverwaltung
mitgetragen wird, ist leichter und schneller zu erreichen, da Zuständigkeiten
für den Denkmalschutz und die Finanzierung des Vorhabens auf kommunaler bzw.
Gebietsebene angesiedelt sind.
2. Eruierung und Planung für den Erwerb einer Immobilie durch den Trägerverein
bzw. der Stiftung in der das Bruno-Schulz-Begegnungszentrum seinen endgültigen
Platz finden kann. Dabei sollte die Priorität auf der Villa in der Vul.
Tarnaws’koho 14, Drohobyè liegen. Die
Wahrung der Interessen der derzeitigen Bewohner ist dabei unverzichtbar. Gleichwertigen
Wohnraum zu beschaffen, dürfte möglich sein.
3. Bei der Finanzierung des
Projekts ist neben den Kosten für den Erwerb der Villa und der Ersatzwohnungen
sowie der Restaurierungs- und Instandsetzungsarbeiten auch an Kosten für den
Unterhalt des Objekts (Strom, Heizung. Wasser, Müllabfuhr, Sicherheit) und an
Personalkosten zu denken. Diese würden sich nach der zukünftigen Nutzung
richten. Schon in diesem Stadium der Überlegungen müsste von einem Bedarf von
mindestens 2-3 Personen ausgegangen werden (Leiterin/Leiter mit abgeschlossenem
Hochschulstudium. Verwaltung, Hausmeister). Je nach Intensität der Nutzung
(Wechselausstellungen, Seminare, Lesungen) könnte der Personalbedarf auch höher
sein.
Durch die Einbeziehung der
Universität von Drohobycz und der regionalen Kulturvereine könnten deren
Mitarbeiter an der Programmgestaltung und -umsetzung beteiligt werden
(Synergieeffekte, Kostenminderung).
Gezeichnet: Name / Beruf / Funktion / Unterschrift
1)
Benjamin Geissler,
Filmregisseur/ Endecker der Wandmalereien von Bruno Schulz, Hamburg
2)
Jerzy Ficowski, Schriftsteller,
Warszawa
3)
Prof. Dr. Phil. Frank
Golczewski, Universität Hamburg - Lehrstuhl für Osteuropäische Geschichte
4)
Günter Grass, Schriftsteller und
Graphiker, Nobelpreis für Literatur, Lübeck
5)
Marek Podstolski,
Nachlassverwalter von Bruno Schulz, Köln
6)
Padraic Kenney - Professor of
History; Director, Central and East European Studies;
7)
Prof. Claudio Magris,
Schriftsteller und Publizist, Trieste, Italia
8)
Krzysztof Czyzewski, President
Borderland Foundation,
9)
Dr. Dieter Bingen, Direktor des
Deutschen Polen-Instituts, Darmstadt
10) Fred Gehler,
Festivaldirektor, International
11) David M. Luebke.
Associate Professor, Department of History, Department of Germanic Languages
and Literatures,
12)
Prof. Dr. Bogdan Osadczuk-Korab,
emeritierter Prof. für osteuropäische Geschichte FU Berlin, und Publizist
13) Denise V. Powers,
Assistant Professor of Political Science, University of
14) Marianne Brentzel,
Autorin,
15) Ulrich Lampen,
Regisseur,
16) Klauspeter Sachau,
Grafiker (
17)
Prof. Jerzy Jarzebski, polonista
z Uniwersytetu Jagiellonskiego
18)
Prof. Dr. Siegfried Zielinski,
Professor für Kunst- und Medienwissenschaften, Kunsthochschule für Medien, Köln
19) Marguerite Feitlowitz,
20) Tuhviah Friedman,
21)
Agnieszka Kijowska, art
conservator, Warsaw, Poland
22)
Shlomit Gorin, Consumer
Advocate, San Francisco, USA
23)
Michael Banos,
Ortvereinsvorsitzender ver.di, Michael Banos, Fachbereich Medien und Kunst,
Dortmund
24)
Dorothee Lottmann-Kaeseler,
director, Active Museum Of German Jewish History In Wiesbaden, (Aktives Museum
Spiegelgasse für Deutsch-Jüdische Geschichte in Wiesbaden e.V.)
25) Laurie Koloski,
Assistant Professor of History,
26) Hans Burkhard,
Schlichting, Chefdramaturg (SWR Hoerspiel ), Badaen Baden,
27) Michael Graubart,
composer, lecturer and writer (and was a refugee from
28) Patricia Reimann,
29) Krzysztof Gierat,
Festival Director,
30)
Dr Mira Salska-Bünsch,
Journalistin, Hamburg, Germany
31)
Edwin Langberg, PhD, former
32)
Barbara
Wozniak, Foto-designerin, Dortmund, Germany
33)
Keith Griffiths, Independent Film
Producer,
34)
Jocelyne Gervais, Montréal,
35)
Helmut
Weiss, Stellvertretender Bezirksvorsitzender ver.di, Dortmund, Germany
36)
Brothers Quay, Filmmakers
37)
Suzanne
Robert, writer, Montréal, Quebec, Canada
38)
Gilles Parent,
39)
Sandra
Ewers, Warszawa, Poland
40)
Natalka Filevych, Curator of Bruno
Schulz Murals Exibishion in Lviv, Galery of Arts,
41)
Alfred Schreyer, former
Schulz-student,
42)
Wolodymyr Kaufman, Kuenstler, Lwiw
43)
Wolodymyr
Kostyrko, Kuenstler, Lwiw
44)
Jurko
Koch, Kuenstler, Lwiw
45)
Prof.
Marija Subryc'ka, Vize-Rektorin, Uni Lwiw
46)
Jewhen
Sacharow, Charkiwer Menschernrechtengruppe, "Memorial", Charkiw
47)
Andrij
Mokrousow, exekutiver Redakteur, Zeitschrift "Krytyka", Kiew
48)
Dr.
Maksym Stricha, Schriftsteller, Mathematiker, Kiew
49)
Krzysztof Penderecki, Composer,
50)
Walter Mossmann, Autor, Freiburg/Lwiw
51)
Kateryna Botanova, art critic, Mirror Weekly, Kyiv
52)
Andriy Bondar, writer, Kyiv
53)
Mariya Tytarenko, Journalist, Lviv
54)
Mykola Rjabczuk, Publizist, Kyiv
55)
Prof. George G. Grabowicz,
Harvard University, Cambridge, MA, Review "Krytyka", Kyiv
56)
Prof.
Michal Pawel Markowski, Professor of Polish Literature, Uniwersytet
Jagiellonski, Krakow, Poland
57)
Maria Hutsylo, Studentin,
Justus-Liebig-Universität,
58)
Dr. Johann
Biedermann, Akademischer Oberrat, Justus-Liebig-Universität, Gießen, Germany
59)
Norbert Ludwig, freier
Journalist, Dolmetscher, Osnabrueck, Germany
60)
Grzegorz Linkowski, director,
Lublin Film Festival "Europe's Point of Divergence/Convergence",
Poland
61)
Dr. Elzbieta Foeller-Pituch, Northwestern University,
62)
Carolin Gschwilm, Übersetzerin,
63)
Sasa Drach, journalist and antiquarian bookseller,
64)
Kang Tchou, East-West Comparative
Hermeneuticist,
"JI":
65)
Jurij Andruchowycz,
Schriftsteller
66)
Taras Wosniak, Herausgeber der
Zeitschrift "Ji"
67)
Taras Prochasko, Schriftsteller
68)
Jurko Prochasko, Publizist, Übersetzer
69)
Iryna Magdysz, Publizistin,
Ji-Redaktuerin
70)
Iwan Borynskyj, Beamter
71)
Tetiana Artuszewska,
Ukrainisches Öffentliches Radio (Warszawa)
72)
Wolodymyr Pawliw, Radio Liberty
(Warszawa)
73)
Witalij Ponomarow, Journalist
(Kiew)
74)
Swiatoslaw Jarynycz (Kiew)
75)
Wolodymyr Szczerbaczenko, Leiter
Ostukrainisches Zentrum öffentlicher Initiativen (Luhansk)
76)
Tamara Tracewycz, Ratsvorstand,
Zentrum für Menschenrechte
"Lebensbaum" (Charkiw)
77)
Marija Krywenko,
Schriftstellerin (Lwiw)
78)
Halyna Tomkiw (Zeitschrift Ji)
79)
Mykola Jakowyna,
Schulz-Übersetzer, Ex-Kulturminister (Kiew)
80)
Ihar Krawziw, Zeitung
"Molodyj Bukawynec'" (Czernowitz)
81)
Wadym Pelech, Radio Bukowina,
Zeitung Doba (Czernowutz)
82)
Jaryna Borenko, Publizistin,
Politikwissenschaftlerin (Lwiw) <www.dialog.lviv.ua/schulz>
83)
Oles' Sawenok,
Frauen-Informations- und Beratungszentrum (Kiew)
84)
Olena Suslowa,
Frauen-Informations- und Beratungszentrum (Kiew)
85)
Andrej Chadanowicz, Dichter
(Minsk, Weißrussland)
86)
Natalia Jakowenko, Historikerin,
Prof. an der Kiew-Mohyla-Akademie
87)
Oles' Pohranycznyj, Journalist
(Lwiw)
88)
Andrij Sadowyj, Direktor,
Institut für Stadtentwicklung (Lwiw)
89)
Inna Bulkina, Schriftstellerin,
Publizistin (Kiew)
90)
Myroslawa Prychoda, Doz. an der
Uni-Lwiw, Redakteurin
91)
Dmytro Redko, Journalist,
Politikwissenschaftler (Kiew)
92)
Jurij Demkowycz (Lwiw)
93)
Oleh und Zoriana Rybczynski
(Lwiw)
94) Orest Drul,
Journalist, Publizist, Verleger (Lwiw)
95) Andrij Szkrabjuk,
Essayist, Theologe (Lwiw)
96)
Artem Zamoznyj,
Goethe-Institut-Kulturzentrum (Kiew)
97)
Oleh Chawycz, Institut der
Stadtentwicklung (Czernowitz)
98)
Branislava Stojanoviæ (Beograd) <www.brunoschulz.prv.pl>
99)
Wolodymyr Fedyna (Lwiw)
100) Jurij Iwanow (Lwiw)
101) Kiryla Ilnicki (Minsk)
102) Oksana Gorelik, Journalist (Lwiw)
103) Julija Serdjukowa, MOLODIST
2003, Kiew International Film Festival
104) Denis Iwanow, MOLODIST 2003, Kiew International Film Festival
105) Maryna Szuch, MOLODIST
2003, Kiew International Film Festival
106) Jaroslaw Hrycak, Historiker, Prof. Leiter Institut für Geschichtsstudien,
Uni Lemberg
107)
Olena Turianjska, Künstlerin
(Lwiw)
108)
Andrzej Turowski, professeur
d'histoire de l'art, Universite de Bourgogne, Dijon, France
109)
Oleksij Obolenskij, aspirant KNU
im. T. Szevczenko, Übersetzer
Mittwoch, 17. September 2008
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